EdiMotion 11. – 14.10.2024

Ehrenpreis

Die Hommage und der Ehrenpreis Schnitt sind für unser Festival von Beginn an ein besonders wichtiges Anliegen. Die Kunst der Filmmontage findet meist im Verborgenen statt, und auch ihre Künstler neigen eher nicht dazu, das Rampenlicht zu suchen. Wie sehr herausragende Editorinnen oder Editoren ihre Filme mit geprägt haben, ist oft nur ihren Produzenten und Regisseuren bekannt. Dies zu ändern, haben wir uns Aufgabe gemacht. Die Hommage richtet daher jedes Jahr ihre Scheinwerfer auf eine Editoren-Persönlichkeit, deren Wirken, Filmografie und Einsatz für den Beruf es verdient hat, in einem feierlichen und öffentlichen Rahmen gewürdigt zu werden. Die Liste der bisherigen Preisträger des Ehrenpreises umfasst Editorinnen und Editoren mit durchaus unterschiedlichen Herkünften, Schwerpunkten und Lebenswegen. Eines vereint aber alle: Die Leidenschaft und den besonderen Einsatz für ihre oft unterschätzte – und zu selten thematisierte – eigenschöpferische Leistung im Dienste des Films.

Preisträgerin 2023

© Florian Liedel © Florian Liedel
Gisela Zick - unsere Ehrenpreisträgerin 2023

Montage als Verbindung von Herz und Kopf

Der Ehrenpreis Schnitt wird 2023 an die Editorin Gisela Zick verliehen. Ihre Montage, die die intellektuelle genau wie die emotionale Wirkebene anspricht und kongenial verknüpft, prägte die Werke zahlreicher Regisseure wie Hark Bohm, Christoph Hochhäusler, Stefan Krohmer oder Peter F. Bringmann. Prägend ist ihre Zusammenarbeit mit dem Regisseur Andreas Kleinert: Gemeinsam arbeiteten sie unter anderem an „Im Namen der Unschuld" (1997), einigen viel beachteten Folgen der Fernsehreihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ und Spielfilmen wie „Wege in die Nacht“ (1999), „Freischwimmer“ (2007), „Hedda“ (2016) oder zuletzt „Lieber Thomas“ (2022). Für den Schnitt von „Lieber Thomas“, dem Lebensporträt des Schriftstellers Thomas Brasch, wurde Gisela Zick 2022 mit dem Deutschen Filmpreis in der Kategorie Schnitt ausgezeichnet.

Edimotion zeigt als Eröffnungsfilm „Milchwald“ (2003) in Anwesenheit von Gisela Zick und ihrem Laudator Christoph Hochhäusler, dem Regisseur des Films. Das Zusammenspiel der beiden, insbesondere die gemeinsame Arbeit an der Gewichtung von „Kopf und Bauch“ des filmischen Wirkens im Montageprozess, ist u.a. Thema des folgenden Filmgesprächs.

Aus der langjährigen beruflichen Verbindung mit Andreas Kleinert wird der neurestaurierte Spielfilm „Wege in die Nacht“ von 1999 im Festivalprogramm gezeigt. Das intensive Psychogramm einer Reihe von DDR-Bürger*innen bietet einen beeindruckenden Blick in Sehnsüchte, Frustrationen und das Lebensgefühl der Nachwendezeit in Berlin. Das intensive Spiel von Hilmar Thate, der als Walter eine Art ostdeutschen „Taxi Driver“ verkörpert, erzeugt in Verbindung mit Gisela Zicks virtuos gestaltender Figurenzeichnung eine besondere Nähe zum Publikum.

Einen Blick hinter die Kulissen ihres abwechslungsreichen beruflichen Werdegangs wirft das Werkstattgespräch „Meet Gisela Zick“ anhand von Filmausschnitten und Erlebnisberichten.

Gisela Zick begann ihre Karriere beim Kinder- und Jugendfunk des Saarländischen Rundfunks bereits im Alter von acht Jahren. Dort moderierte sie Jugendsendungen. Nach einer Ausbildung zur Toneditorin montierte sie einige Jahre Fernsehsendungen und Dokumentarfilme. 1980 wurde sie als Editorin für ihre erste lange fiktionale Arbeit entdeckt, den Tatort „Tote reisen nicht umsonst“. Zunächst zog sie dann aber nach München und begann Studioregie zu führen bei Unterhaltungssendungen für den Bayerischen Rundfunk wie "Dingsda" und "Herzblatt“. Außerdem arbeitete sie als Regieassistenz, unter anderem mit Heidi Geneé und Klaus Emmerich. Ab den frühen 90er Jahren wandte sie sich wieder mehr ihrer beruflichen Leidenschaft als Editorin zu. Mit dem Kinofilm „Im Namen der Unschuld“ (1997) von Andreas Kleinert kehrte sie endgültig zurück an den Schneidetisch. Als große Befürworterin des digitalen Schnitts war sie fortan Editorin bei zahlreichen Fernseh- und Kinofilmen. Seit 2004 lebt sie in Berlin und bringt ihre unterschiedlichen beruflichen Perspektiven auf Film und Montage in ihre künstlerische Arbeit ein.

Termine

Freitag, 13.10.2023 um 20 Uhr | Filmforum NRW im Museum Ludwig
Eröffnung
"Milchwald" (DE 2004, 86 Min., R: Christoph Hochhäusler) in Anwesenheit der Ehrenpreisträgerin und des Regisseurs mit anschließendem Filmgespräch

Sonntag, 15.10.2023 um 18:15 Uhr | Filmforum NRW im Museum Ludwig
Meet
Gisela Zick - Ein Gespräch mit der Ehrenpreisträgerin

Montag, 16.10.2023 um 11:00 Uhr | OFF Broadway Kino
„Wege in die Nacht“ (DE 1999, 95 Min., R: Andreas Kleinert)
in Anwesenheit der Ehrenpreisträgerin mit anschließendem Filmgespräch

Preisverleihung Ehrenpreis Schnitt | Filmforum NRW im Museum Ludwig
Laudatio: Andreas Kleinert

Filmografie (Auswahl)

2021 Lieber Thomas. Spielfilm. Andreas Kleinert
2017 Zuckersand. Spielfilm. Dirk Kummer
2016 Hedda. Spielfilm. Andreas Kleinert
2018 Sympathisanten – Unser Deutscher Herbst. Dokumentarfilm. Felix Moeller
2014 Monsoon Baby’. Spielfilm. Andreas Kleinert
2013 Unter Müttern. Dokumentarfilm. Bettina Timm
2011 Nacht ohne Morgen. Spielfilm. Andreas Kleinert
2010 Zimtstern und Halbmond. Spielfilm. Matthias Steurer
2009 Haus und Kind. Spielfilm. Andreas Kleinert
2007 Freischwimmer. Spielfilm. Andreas Kleinert
2005 Sommer 04. Spielfilm. Stefan Krohmer
2004 Henkersmahlzeit. TV-Spielfilm. Peter F. Bringmann
2002 Mein Vater. Spielfilm. Andreas Kleinert
2002 Milchwald. Spielfilm. Christoph Hochhäusler
1999 Wege in die Nacht. Spielfilm. Andreas Kleinert
1997 Im Namen der Unschuld. Spielfilm. Andreas Kleinert
1980 Tote reisen nicht umsonst. TV-Spielfilm. Rolf von Sydow

Interview

Mit Herz und Kopf für die Sache

Sven Ilgner: Deine erste lange fiktionale Montagearbeit ist der Tatort „Tote reisen nicht umsonst“ von Regisseur Rolf von Sydow. Seine Fernsehpremiere hatte der Film im September 1980 als Produktion des SR. Er spielt im Grenzgebiet zwischen dem Saarland und Frankreich und ist unter anderem deshalb so interessant, weil er in Teilen mehrsprachig erzählt ist und in beiden Ländern gedreht wurde. Wie ist die Zusammenarbeit an diesem Filmprojekt entstanden?

Gisela Zick: Ich habe meine Ausbildung beim Saarländischen Rundfunk begonnen, in der Abteilung „Aktuelles und Dokumentationen“, wollte aber unbedingt auch mit Spielfilm zu tun haben. Ich habe häufig beobachtet, wie eine bunte Gruppe von Menschen gegen Abend zum Sichten von Mustern gegangen ist. Diese „Gruppe“, erschien mir so verlockend, da wollte ich hin. Ich bekam dann die Chance, bei einem Spielfilm im Schneideraum zu assistieren. Die Arbeitsweise war noch komplett anders als heute. Wir mussten mit weißer Tusche bei allen sechzig Bildern auf die Perforation die Klappennummer schreiben und die laufenden Nummern von Bild und Ton, um zuerst das Material überhaupt synchron zu haben. Danach durfte ich mit dem Regisseur Rolf von Sydow selbst einen Spielfilm schneiden.

Wiederkehrende Zusammenarbeiten mit Menschen aus der Branche scheinen sich seitdem durch deine Karriere zu ziehen. Dazu gehören zahlreiche Regiepersonen, Kameraleute und Redaktionen. Am prägendsten ist wohl deine häufige Zusammenarbeit mit Andreas Kleinert. Wie ist das entstanden?

Wir haben uns in München kennengelernt, 1996, Er machte einen Essayfilm „Denk ich an Deutschland“. Den haben wir zusammen geschnitten. Ich habe ihn zum Avid-Schnitt überredet und er war dann von den Möglichkeiten ganz begeistert.

Du warst schnell begeistert von den Chancen, die der digitale Schnitt bietet. Was bedeuten für dich die technischen und künstlerischen Möglichkeiten des Digitalen in der Filmmontage?

Frank Strecker hat mich eines Tages mitgenommen in den Schneideraum, in dem er am Avid an einem Projekt gearbeitet hat. Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, das war magisch! Ich wusste, das will ich unbedingt lernen. Vorher war das Einrollen und Ausrollen von Filmstreifen in Kästen jeden Tag, so mühsam. Die neue Technik hat viele Vorteile geboten. Man konnte mehrere Versionen einer Szene machen, das war super. Mittlerweile sind die Vorteile des Digitalen aber so überbordend geworden. Es ist erstaunlich, was man alles machen kann. Zum Beispiel all die Effekte! Es ist schön, wenn man sie benutzen kann, wenn es Gründe für sie gibt.

Du arbeitest gerade an einem Film, der sich mit Franz Kafka beschäftigt. Liest du dich dann währenddessen auch noch einmal in Literatur von Kafka ein? Wie war das bei Thomas Brasch und der Arbeit an „Lieber Thomas“?

Ja, bei Thomas Brasch habe ich mir viele Bücher gekauft, auch die ganze Lyrik. „Vor den Vätern sterben die Söhne“ war zum Beispiel interessant.

Welche Auswirkungen hat das dann für die Montage und vor allem für die Entwicklung der Filmfigur? Erreicht man auf diese Art und Weise dann eine tiefere Verbindung zu Filmcharakteren?

Ich glaube schon, dass einem der Mensch näherkommt. In „Lieber Thomas“ fand ich eher besonders, dass im Drehbuch die Zeit aus dem Ost-Blickwinkel erzählt wurde. Das war für mich enorm interessant, denn ich bin ja im Westen sozialisiert worden Wir hatten keine Verwandten dort. Ich fand interessant, wie Brasch die Mauer sah: Wir sind doch auf der richtigen Seite der Mauer. Die Mauer hat Recht. Thomas Brasch wäre sicher in der DDR geblieben, wenn er veröffentlicht worden wäre. Er wollte nicht weg.

Du standest schon als Achtjährige im Jugendfunk vor der Kamera und hast auch selber als Studioregisseurin gearbeitet. Du kennst also die verschiedensten Perspektiven auf die Filmarbeit aus der Praxis. Was bedeutet das für deine Arbeit als Editorin?

Andreas Kleinert sagte zu mir: Du guckst nicht wie eine Editorin, du guckst wie eine Regisseurin. Das kann sein, denn das ist alles, womit ich je zu tun hatte. Ich habe ja viele Jahre als Regie-Assistentin gearbeitet. Alles fließt mit in die Montagearbeit ein. Und ich gucke natürlich auch so auf die Schauspieler. Ich habe viel Respekt vor diesem Beruf.

Hat das damit zu tun, dass du durch deine unterschiedlichen Tätigkeiten nachvollziehen kannst, wie das Material am Set entstanden ist? Dieses „sich zurücknehmen“, was ja auch zum Beruf der Editorin gehört, wie gehst du damit dann in der Zusammenarbeit um?

Es geht immer um die Sache, die Geschichte, das Beste daraus zu machen. Ich bin dazu da, dem Regisseur, der Regisseurin zu helfen IHREN Film zu machen. Es muss harmonisch in der Zusammenarbeit, gemeinsam zum Ende kommen. Man muss schon eine Haltung zu dem Thema und den Menschen haben, die darin spielen.

Die Zusammenarbeit zwischen Regie und Filmmontage ist eine sehr besondere und auch sehr intensiven Kollaboration. Muss man in der Weltsicht einer Meinung sein zwischen Regie und Editorin? Wie klopfst du das ab und wie findest du deine Einschätzung?

Bevor man anfängt, muss man sich kennenlernen. Man muss über das Leben sprechen, wie man die Welt sieht. Und das kann auch manchmal schiefgehen. Man muss schon vorher versuchen rauszufinden, ob es passen kann.

Im Jahr 2005 warst du zum Beispiel mit dem Kinospielfilm „Milchwald“ nominiert bei Filmplus (Heute Edimotion). Der Film ist eine Zusammenarbeit mit Regisseur Christoph Hochhäusler. Welche Erinnerungen hast du an den Festivalbesuch in Köln?

Gott sei Dank war Christoph auch da. Er hat mich dort unterstützt. Der Schnitt des Films war sehr umstritten. Christoph weiß ganz genau, was er als Regisseur will und was er nicht will. Ich habe oft zu ihm gesagt: „Du brauchst mich gar nicht, du kannst das selber machen.“ Mir hat die besondere Art gefallen, wie er auf die Optik in seinem Film geblickt hat. Wenn beispielsweise jemand den Kopf auf ein Kissen legt und wieder wegnimmt, dass man dann sieht, wie sich das Kissen langsam wieder zurückformt. Solche Details waren ihm ganz wichtig.

Um noch einmal zum Herzstück zurückzukehren und damit zu dem, was allem zu Grunde liegt: Dem gefilmten Material. Kannst du deinen Blick auf die Szenen und Muster etwas beleuchten? Wie näherst du dich bei der Sichtung eines Projekts an? Sortierst du dann beispielsweise direkt schon während des Sehens im Kopf einzelne Elemente?

Ich gucke mir die Muster täglich an, ich gucke mir auch vorher an, was sie drehen wollen und bilde mir da schon eine Meinung. Ich gucke aber auch noch einmal genau jede Klappe an, wenn ich die Szene schneide. Es kann passieren, dass ich etwas nicht richtig erkannt habe, was der Regisseur sich vorgestellt hat. Oder dass etwas gesucht wird, was es gar nicht gibt. Wenn er zum Beispiel wollte, dass zwei Figuren miteinander flirten, dann wird gesucht, ob man etwas findet, wo sie vielleicht flirten oder was man so deuten könnte. Dann kann es passieren, dass ich das beim ersten Sehen gar nicht so ernst genommen habe, dass da geflirtet wurde. Meistens wissen die Regisseure sehr exakt, was gedreht wurde.

Du hast im Band „Filmschnitt: Bekenntnisse“ beschrieben, dass du immer begründen kannst, warum du einen Schnitt setzt und dass das auch mit der Filmarbeit mit Hark Bohn zu tun hat? Worauf beziehst du dich in dieser Erinnerung?

Ja, wir haben in den 1970erJahren bei einem gemeinsamen Projekt ein Dreivierteljahr lang geschnitten, das war ja noch im normalen Filmschnitt, am Schneidetisch. Gernot Roll war verantwortlich für die Kamera. Ich erinnere mich, dass es keine einzige Kamerafahrt gab, nur stehende Bilder. Wenn ich sagte: „Ach, das wäre schön, wenn wir jetzt hier schneiden!“, fragte Hark Bohm mich „Warum?“ Meine Antwort war: „Ach, ich fühle es jetzt.“ - „Was fühlst du denn da? Kannst du mal deinen Verstand einschalten? Und kannst du mir mal erklären, warum wir da schneiden sollen?“ Dann habe ich mir Mühe geben müssen, es zu präzisieren und das tue ich bis heute.

Somit kommen wir wieder auf den Kopf und das Herz zurück. Das sind die beiden Energiezellen und Kräfte, aus denen deine Arbeit scheinbar besteht. Die Arbeit verbindet das Technische mit dem Emotionalen. Worauf achtest du, um dabei die Balance zu finden?

Man muss ja auch fühlen, was die Menschen erleben in den Szenen. Und man muss sich das auch noch merken, wenn man es dann später fünfzig Mal gesehen hat. Man muss sich das alles merken und fühlen, weiterhin fühlen. Es ist wichtig, dass Kopf und Herz wirklich in Verbindung sind.

Wie erreicht man das aber dann konkret? Immerhin muss man sich vor Augen führen, dass in der Montage immer auch mit erlernten Sehgewohnheiten, mit etablierten Erzählformen und Erwartungen des Publikums zu rechnen ist. Wie nutzt oder vermeidet man eine gewisse Routine?

Routine muss man ausschließen. Bei einen Film mit Götz George gab es einige Autofahrtszenen durch die Stadt. Die Figur, die Götz spielte, war in einer besonderen Stimmung. Ich konnte die Stimmung für meine Autofahrt nicht finden, wusste nicht, wie ich schneiden soll, um das Besondere zu finden, dabei hatte ich schon sicher an die hundert Autofahrten in meinem Leben geschnitten. Ich bin im Raum immer auf und abgegangen und dachte nach. Ich rief eine Freundin an, fragte um Rat. Mir war klar, ich muss etwas im Material finden, was für diese Lebensphase, in der er sich jetzt befindet, passend erscheint. Ich suchte nach etwas, bei dem sich etwas verdichtet, auch im Kopf der Figur. Das waren dann zum Beispiel Lichter unter den Brücken und an den Schnellstraßen und ähnliche Bilder. Das klingt jetzt so banal, war aber gut.

Essentieller Teil der Montagearbeit ist sicherlich das Probieren und das Präsentieren von erzählerischen Möglichkeiten, die dann getestet werden. Wie probierst du unterschiedliche Varianten?

Ich muss ausprobieren. Es war früher schön, wenn man eine Assistenz hatte. Es ist hilfreich, etwas zu zeigen. „Nein, der oder die, ist doch eben über die Straße gegangen oder ähnliches Das geht so nicht oder das geht anders besser.“ Am Schneidetisch verengt sich manchmal der Blick auf das, was sich jetzt gerade vor einem bewegt. Deshalb zeige ich das Material gerne anderen Leuten.

2022 wurde dir der Deutsche Filmpreis für die Montage von „Lieber Thomas“ verliehen. In deiner Dankesrede betonst du, wieviel Spaß die Arbeit an dem Film gemacht hat. Was machte denn so großen Spaß?

Ich liebe es, in den Szenen die feinen Stellen zu suchen und das dann zusammen zu basteln. Da können die Szenen noch so schwierig sein und die Herausforderung für das, was man erzählen will, noch so groß. Das mache ich für mein Leben gern. Deshalb habe ich auch noch nicht aufgehört, weil ich diese Arbeit so liebe.

Interview: Sven Ilgner

Laudationes

Laudatio für Gisela Zick

Gehalten von Christoph Hochhäusler am 13. Oktober 2023, Köln

Liebe Anwesende, liebe Editorinnen-Gemeinde, liebe Gisela,

Das Wort „Laudatio” bringt Erwartungen mit sich, die ich womöglich nicht alle erfüllen kann - das macht dann Andreas Kleinert… Ich will nur zwei oder drei Dinge sagen, die ich von ihr weiß… keinen ganzen Kranz flechten, den würde Gisela, so wie ich sie kenne, sowieso vom Kopf rutschen lassen. Lorbeer und Weihrauch – das passt für Cäsaren und Hohepriester. Aber Gisela ist nicht feierlich, verklärt, respektheischend, sie ist eher: respektlos. Und diese Respektlosigkeit gehört zu ihren besten Eigenschaften. Lassen Sie mich erklären.

Sie ist respektlos, in dem Sinne, dass sie sich von hochtrabenden Absichten nicht beeindrucken lässt. Sie ist das Kind, das sagt: der Kaiser ist nackt. Und wenn die Höflinge dann lachen, und im Hohn der nächsten Täuschung aufsitzen, sieht sie den Menschen im „Kaiser”. Und ist bereit, ihm eine Chance zu geben. Ohne Vorurteil. So hab ich das erlebt mit ihr, bei meinem ersten langen Film, und das war prägend.

Regisseure (und Regisseurinnen vielleicht auch) täuschen sich ja oft darüber, was sie gemacht haben, was sie können, und natürlich auch darüber, was sie wollen. Deshalb ist die Montage ja auch so eine blutige Angelegenheit. Man leidet als Regisseur weniger an den Defiziten der Schauspieler oder Mitarbeiter als am eigenen Unvermögen, an den zerstörten Illusionen. Und ich kann von mir sagen: ich muss mir bei der Arbeit Illusionen machen. Verblendung ist ein Werkzeug. Nur ist es im Schneideraum dann nicht mehr brauchbar.
Gisela arbeitet gegen die Täuschung. Dass das etwas Gutes ist, das war ein durchaus schmerzhafter Erkenntnisprozess für mich. Wenn eine Editorin, ein Editor etwas taugt, kommt alles ans Licht…. Die Montage ist Abrechnung, Tod und Wiedergeburt eines Films.

Im Schneideraum braucht man einen ehrlichen Spiegel – der weder sagt: du bist der Schönste hier, aber auch nichts von Zwergen erzählt, hinter den sieben Bergen usw. Dem Gisela-Spieglein geht es auch nicht so sehr um Schönheit, jedenfalls nicht im landläufigen Sinne. Es geht um die Wahrheit des Materials, jenseits der Absichten.
Respektlosigkeit also, ein klares, realistisches Auge: das ist das eine. Aber das Gesehene muss auch gegriffen, ergriffen und also be-griffen werden – toll, wie die deutsche Sprache da auch die analogen Zeiten des Filmschnitts aufbewahrt – indem man den richtigen Ein- und Ausstiegspunkt findet.

Ich sehe Gisela vor mir, wie sie im Begriff ist, einen Schnitt zu setzen. Da ist jede Faser unter Spannung. Wie eine Skispringerin auf der Schanze vielleicht. Die große Ekstase der Bildschnitzerin Gisela.
Da spielt Erfahrung eine Rolle, klar, ihre Filmografie ist lang, aber so richtig lernen kann man es vielleicht gar nicht, man muss es haben. Die Intuition des richtigen Absprungs. Dieser energische Zugriff ist etwas, was mir bei Gisela immer sehr imponiert hat. Dieses großgeschriebene JETZT. Ohne Zögern. Und dabei – nur scheinbar ein Widerspruch – stets so zu „springen”, dass der Zuschauer mitkommt.
Wie lang trägt eine Einstellung? Wie lange bleibt der Zuschauer in der Luft? Wann schaut er nach unten und bekommt Angst (um im Bild zu bleiben?) Das weiß diese Skispringerin!
Wir hatten beim Dreh von MILCHWALD ja die Losung ausgegeben: je weniger Einstellungen, desto besser. Und Gisela hat mir gesagt: du willst nicht schneiden, das finde ich prima, aber was, wenn die Energie der Einstellung nicht so lange hält? Dem Zuschauer sind Konzepte egal, er hält sich an das, was er sieht. Sie hatte natürlich recht.
Und dann die vielleicht schwierigste Sache: die Landung, im neuen Bild. Hier entstehen noch mal ganz neue Dinge. Das Kino und ganz besonders die Montage ist ja eine Kunst der Auslassung, funktioniert dialektisch. Es geht darum, dass sich im Zuschauer unwillkürlich und überraschend eine Synthese formt.

Ich habe von Giselas Realismus’ gesprochen, dem unbestechlichen Auge, und von ihrem instinktsicheren Zugriff, wenn es um den Absprung geht, aber in diesem dritten Punkt kommt noch einmal eine ganze andere Gisela zum Vorschein: die Spielerin. Ich meine damit nicht unbedingt, dass sie im Schneideraum furchtbar viel ausprobiert – aber im Kopf, da rumort es, man hört die Zahnräder rattern – und dann kommt plötzlich und unverhofft ein Vögelchen raus.

Liebe Gisela, 1980 hast du deinen ersten Spielfilm geschnitten, 80 Filme später kriegst du mit 79(!) den Preis fürs Lebenswerk, das klingt für mich nach einer runden Sache.

Ich freue mich sehr für dich, ich freue mich, dass wir uns begegnet sind, damals 2002, du hast mir ungeheuer viel mitgegeben, großzügig, leidenschaftlich, genau, und ich gratuliere dir auch zu der großen Arbeitsromanze mit Andreas Kleinert, ein kostbarer Schatz, so ein kongeniales Verhältnis, das hoffentlich noch viele Kapitel haben wird.

Laudatio für Gisela Zick

Gehalten von Andreas Kleinert am 16. Oktober 2023, Köln

Guten Abend, ich freue mich, dass wir hier sein dürfen und dass ich Gisela heute ehren darf. Obwohl das ehrlich gesagt ein Anachronismus ist, Gisela und Lobrede. Denn es ist der Klassiker, wenn man ihr ein Kompliment macht, dann schüttelt sie immer ganz schnell den Kopf. Mit wirklichen Komplimenten muss man sehr, sehr dosiert umgehen. Das heißt auch, wenn man in den Schneideraum kommt und eine neue Szene sieht, die sie geschnitten hat, ist es nicht so gut, übereuphorisch zu sein. Man hält sich ein bisschen zurück. Aber sie wäre natürlich auch enttäuscht, wenn man jetzt nichts sagen würde. Wir haben jetzt fast 40 lange Filme zusammen gemacht, das ist schon ein langer Weg. Das heißt, wir kennen uns wirklich extrem gut. Unser Kennenlernen war schon sehr bezeichnend. Das war kurz nach der Wende. Ich war in München und wurde von einer Produktion zu einer kleinen Party eingeladen. Eine sehr sympathische Produktion, aber die Leute die auf dieser Party waren alle sehr laut, sehr extrovertiert, alle sprachen über ihre Arbeit, ihr nächstes Projekt, ihr letztes Projekt. Ich bin jetzt auch nicht so der Party-Mensch ehrlich gesagt, und dann sah ich zwischen all diesen Menschen eine nicht so große Frau, die still dort stand und nur beobachtete. Und dann dachte ich – und es bestätigte sich dann schnell meine Menschenkenntnis – da bin ich gut aufgehoben, ich werde mich mal zu ihr stellen. Und wir haben uns dann eben nicht mit unseren Funktionen vorgestellt, sondern mit Namen; wir haben dann nicht angefangen darüber zu reden, was wir gemacht haben oder was wir gerade machen, sondern wir haben darüber gesprochen, dass die Wandfarbe und die Farbe vom Fußboden nicht so unheimlich gut zusammenpassen. Und wie der Zufall es wollte kam später die Produzentin und sagt: „Gut, dass ihr zusammensteht, ich habe mir überlegt, dass ihr beide zusammenarbeiten werdet bei dem nächsten Projekt“, das war „Denk ich an Deutschland in der Nacht“, und so lernten wir uns kennen.

Ich war so ein schrecklicher Regisseur, der nicht aus dem Schneideraum ging und wenn ich auf Toilette musste, habe ich immer gesagt: „Lass mal ruhen“. Letztlich aus Angst, dass etwas verschwinden wird. Und seitdem ich mit Gisela zusammenarbeite, ist es genau das Gegenteil. Ich war früher ängstlich im Ausmustern, jetzt mache ich nur noch Sternchen am Set, damit Gisela im Schneideraum weiß, welche Takes mir besonders gut gefallen haben. Viele fragen, was ist das Geheimnis ihrer Montage, warum sind ihre Filme so, wie sie sind und da fängt es damit schon an, dass sie wirklich wie in einem Tunnel arbeitet, also wie in einem Kokon, es darf auch keiner reinkommen und jeder, der doch reinkommt, erntet böse Blicke. Da wird dann dunkel gemacht, aber wirklich dunkel, nicht nur ein bisschen. Work-Life-Balance ist auch nicht ihr Thema, ich würde sagen, das ist eher das Gegenteil. Auch wenn sie nicht mit mir schneidet, sondern mit anderen, versuche ich das Private zurückzunehmen, also nicht ständig zu nerven, weil ich weiß, sie ist dann einfach in diesem Tunnel.

Aber ich glaube das Geheimnis ihrer Montage ist vor allem - und da sind wir uns sehr nahe - sie ist keine Konzeptkünstlerin. Sie hasst es, mit festen Konzepten ranzugehen, die vorgeschrieben sind, Prinzipien, die man immer hat, sondern sie versucht wirklich für jeden Film, den eigentlichen Film herauszulesen. Es geht ihr vor allen Dingen hundertprozentig um die Schauspielerinnen und Schauspieler, sie ist da so filtrierend, sie nimmt da aus irgendeinem Off-Ton, oder aus irgendeinem Ton, der gar nicht auf die Person gerichtet ist, davon filtert sie noch etwas raus, weil sie denkt, da ist der Ton besser getroffen. Sie findet alles, da kann man sich drauf verlassen. Sie hat früher auch Regie geführt, mit Rudi Carell gearbeitet, sie hat so viel gemacht und so viel probiert und alles immer mit einer extremen Leidenschaft, mit einer extremen Akribie und so geht sie heute auch ran. Sie fischt wirklich jeden Moment raus, sie gibt sich nie zufrieden, man hat nie das Gefühl, wenn man sagt: „Wir müssen da nochmal ran.“, dass sie dann sagt: „Och nee“.

Das beste Beispiel ist „Lieber Thomas“. Der Film war 2 Stunden und 20 Minuten lang und dann kam Corona, und dann sagten die Produzenten: „Jetzt haben wir viel Zeit und ihr könnt nochmal in Ruhe schneiden.“, dann haben wir geschnitten und dann war er zweieinhalb Stunden lang, also nochmal länger, und wir sollten eigentlich auf zwei Stunden kommen. Und das ist das, was ich mit Gisela verbinde, dass sie nicht korrumpierbar ist. Sie ist immer loyal zu einem, sie ist immer diejenige, die sagt: „Wir müssen für die Kunst kämpfen“, es geht bei uns nie um Macht oder darum, wer recht hat. Ich bin so wahnsinnig dankbar, dass ich jemanden an meiner Seite habe, so streng sie auch ist mit einem. Ich telefoniere während des Drehs überhaupt nicht, aber es gibt immer ein Telefonat jeden Tag: Ich rufe Gisela im Schneideraum an, wenn sie die Muster gesehen hat und da geht es dann auch um alles. Sie guckt wirklich auf jedes Detail, und mir hilft das natürlich wahnsinnig. Und wenn ich mal mit anderen Editorinnen arbeiten musste, fiel es mir immer schwer wenn die nur lobend waren. Die wollten mich natürlich aufbauen, was ja auch lieb ist, aber bei Gisela kriegt man wirklich klare Kante angesagt, und gesagt was man falsch gemacht hat. Ich umgebe mich gerne mit Menschen, die hart mit einem sind und da ist sie wirklich so präzise und kümmert sich um alles, sie hat immer alles im Blickfeld.

Es gibt ja auch nicht mehr die klassischen Schnittassistenzen wie früher, das waren ja Ehepaare, Schnittmeister und die Assistenz, heute ist das anders. Gisela merkt, wer das mit Leidenschaft macht und wer nicht. Sie lässt zum Beispiel eine Assistenz auch etwas schneiden, und wenn die das dann nicht wirklich wollen, da ist sie dann natürlich zurecht enttäuscht. Und umgekehrt aber auch, wenn sie dann jemanden in ihr Herz schließt, dann kämpft sie wie ein Löwe, dass die Person im Abspann an die richtige Stelle kommt, dann diskutiert sie lange, bis mit der Position auch wirklich die gute Arbeit gewürdigt wird.

Ich will eine Episode zum Schluss erzählen, die sehr charakteristisch ist für Gisela. Ich nenne das alles ohne Namen, es war kein Film den wir zusammen gemacht haben, da hatte sie ganz viel Stress und ganz viel Ärger. Der Produzent ging extrem brutal in den Film hinein und war sehr demütigend zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und vor allem zur Editorin und dann war Abnahme. Die lief fantastisch, alle waren begeistert und alle waren glücklich und der wirklich sehr bekannte Produzent, der durch viele große Produktionen viel Einfluss hatte, sagte zu Gisela: „wirklich eine schöne Arbeit, ich bin so glücklich, dass ich Sie in dieser Arbeit kennengelernt habe, ich freue mich schon auf unser nächstes Projekt“ und da sagte Gisela „ich glaube Sie täuschen sich, wir werden sicherlich nicht noch einmal zusammenarbeiten, wir sind einfach aus verschiedenem Holz“. Und das ist Gisela: konsequent, die Freiheit liebend, die Kunst verteidigend, das ist wirklich ihre Leistung, und deswegen freue ich mich so und danke dem Festival sehr, dass sie die richtige ausgesucht haben. Gisela, es ist schön dich zu kennen, ich bin einfach froh, dass wir dich haben und dass du so bist wie du bist.

Archiv Preisträger*innen

Mit der Hommage und dem Ehrenpreis Schnitt wurden bislang gewürdigt:

2022 Fee Liechti Seigner
2021 Ingrid Koller
2020 Karin Schöning
2019 Heidi Handorf
2018 Norbert Herzner
2017 Inge Schneider
2016 Ursula Höf
2015 Christel Suckow
2014 Barbara von Weitershausen
2013 Juliane Lorenz
2012 Raimund Barthelmes
2011 Gisela Haller
2010 Monika Schindler
2009 Barbara Hennings
2008 Peter Przygodda
2007 Helga Borsche
2006 Dagmar Hirtz
2005 Evelyn Carow
2004 Thea Eymèsz
2003 Brigitte Kirsche
2002 Klaus Dudenhöfer

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